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Stabwechsel im Deutschen Gutachterkreis für Alpinunfälle, alpine Ausrüstung und Materialprüfung (GAK)

Wolfgang Spindler aus Pfaffenhofen folgt auf Dr. Klaus Burger aus Bad Reichenhall – steigende Einsatzzahlen der Bergwacht in den Sommermonaten – zunehmend schwer überschaubares Angebot an Strategien zur Beurteilung von Lawinengefahren.

Zehn erlebnisreiche Jahre lang hat Dr. Klaus Burger, Leiter der Bergwacht-Region Chiemgau und Direktor des hiesigen Amtsgerichts, den Deutschen Gutachterkreis für Alpinunfälle, alpine Ausrüstung und Materialprüfung (GAK) geführt und weiterentwickelt. Einstimmig wählten die Vertreter der alpinen Verbände und der Alpingutachter Wolfgang Spindler als seinen Nachfolger; er ist ehemaliger Polizeibeamter im Staatsministerium des Innern und staatlich geprüfter Berg- und Skiführer.

Stellvertreter bleibt der Pidinger Peter Geyer, ebenfalls Bergführer und Ehrenpräsident des internationalen Bergführerverbandes. Das Fachgremium als Bindeglied zur Industrie- und Handelskammer (IHK), das die Gutachter prüft, führt weiterhin Peter Geyer; sein Stellvertreter als Mitprüfer bleibt Dr. Burger. Weitere Prüfer sind die erfahrenen Alpingutachter Dieter Stopper, Jan Mersch und Franz Deisenberger. Neben den Neuwahlen, die unter Leitung von Burger sehr zügig stattfanden, beschäftigte sich der GAK intensiv mit den weltweit kaum mehr zu überblickenden, vielen Strategien zum Erkennen und Beurteilen von Lawinen-Gefahrenlagen, den daraus resultierenden Auswirkungen bei der Erstellung von Gutachten sowie die rechtliche Beurteilung von Lawinenunfällen.

Der GAK ist ein hochrangiger, ehrenamtlicher Expertenkreis und seit 18 Jahren weitgehend im Hintergrund tätig. Er setzt im Auftrag der Gutachter-Bestellungsbehörde, seit 2008 die IHK für München und Oberbayern, bundesweit die fachlichen Voraussetzungen für die Sachverständigen auf den Gebieten Ski-, Berg-, Kletter- und Lawinenunfälle, alpine Ausrüstung und Materialprüfung, Canyoningunfälle sowie bei Unfällen in mobilen Seilaufbauten und in Seilgärten fest und entscheidet mit über die Eignung der Bewerber. Der Gutachterkreis bildet sich regelmäßig auch in Kooperation mit Österreichs Alpingutachtern fort und kann auf Bitte der Bestellbehörde zu grundsätzlichen alpinen Fragen Stellung nehmen. Zur Gewährleistung einer hohen Qualität der öffentlich bestellten und vereidigten Alpingutachter der IHK erarbeiteten Dr. Burger und Geyer zusammen mit der IHK eine bundesweit gültige Geschäftsordnung, um die fachlichen Bestellungsvoraussetzungen, insbesondere für Ski- und Berg-, Seilgarten- und Canyoningunfälle abschließend festzulegen und so deutschlandweit Rechts- und Planungssicherheit für das alpine Gutachterwesen zu gewährleisten und einen hohen Zulassungs- und Prüfungsstandard zu gewährleisten.

Roland Ampenberger, Vorsitzender der Stiftung Bergwacht, begrüßte die hochrangigen Vertreter der alpinen Verbände, der Behörden und die Gutachter im Zentrum für Sicherheit und Ausbildung der Bergwacht Bayern in Bad Tölz (ZSA) und wies auf die steigenden Einsatzzahlen der Bergrettung im vergangenen Sommer hin, darunter auch eine auffällige Zunahme der Mountainbikeunfälle. Zudem sei feststellbar, dass der bayerische Alpenraum einem immer höheren Nutzungsdruck ausgesetzt sei, was sich beispielsweise darin widerspiegle, dass immer mehr Menschen Dank der mittlerweile guten und leichten Lampen auch in der Dunkelheit am Berg unterwegs seien.

Franz Deisenberger, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft österreichischer Alpingutachter, berichtete über Lawinengroßereignisse, bei denen der Sachverständige oft im Spannungsfeld von Öffentlichkeit, Medien und selbsternannten Experten steht. Komplexe Sachverhalte werden in den Medien grob vereinfacht, damit sich jeder auch fachfremde Mensch versteht, was oftmals zu moralischen Vorverurteilungen führt, die – auch wenn die Angelegenheit juristisch anders beurteilt wird – kaum mehr richtig zu stellen sind. In Fachkreisen und auch der alpinen Community werde die Lawinenbeurteilung, insbesondere die Einzelhangbeurteilung bei schweren Lawinenunglücken kontrovers, hoch emotional und medienwirksam diskutiert. Für den Gutachter gibt es laut Deisenberger daher nur eines: Keine eigenen Interviews, keine Auftritte, Verweis auf Pressestellen der Polizei und Justiz, gleichsam einsam bleiben. Auch er selbst sei bereits in massiver Weise in der Öffentlichkeit verurteilt worden, als er in einem Fall mit mehreren Lawinentoten zu dem Schluss gekommen war, dass der angeblich Schuldige gar nicht sorgfaltswidrig gehandelt hätte.

Dr. Stefan Beulke, renommierter Rechtsanwalt aus München in Sachen Alpinunfälle und staatlich geprüfter Bergführer, referierte anschließend kurzweilig und sehr pointiert über die rechtliche Fragestellung, wann denn eine Lawinengefahr erkennbar sei und bei einem nachfolgenden Unglück juristische Relevanz entfalte. Beulke fasste weltweit den Markt an Theorien zur Erkennung und Beurteilung der Lawinengefahr zusammen und kam zu dem Ergebnis: Die Angebote sind nicht mehr überschaubar und führen zur Verwirrung. Jedenfalls könne man nicht davon sprechen, dass der Laie oder auch der Jurist klare Vorgaben herausfiltern könne. Beulke: Die Methoden- und Meinungsvielfalt führt zu erheblichen rechtlichen Schwierigkeiten, Risiken und Unsicherheiten für den alpinistischen Anwender (Bergsteiger, Übungsleiter, Trainer, Bergführer, Bergschulbetreiber, Sektionsvorstände), für Alpinsachverständige, für die beteiligten Ermittlungsbeamten der Polizei und für die Juristen (Staatsanwälte, Richter, Rechtsanwälte). Überspitzt formuliert: Das zur Gefahrenbeurteilung bemühte Themenspektrum reiche mittlerweile von der elementaren Schneemechanik bis zur gruppendynamischen Tiefenpsychologie. Als Beispiele der Vielfältigkeit nannte er zunächst in strategischer Hinsicht: Methode 3 x 3 nach Munter, elementare Reduktionsmethode nach Munter, professionelle Reduktionsmethode nach Munter, die Snowcard (DAV), die grafische Reduktionsmethode (Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung), Avaluator (Canada Avalanche Center), ATES (Avalanche Terrain Exposure Scale USA), ARC (Avalanche Risk Check, vier Lawinenmuster SLF - Schweiz), fünf typische Lawinenprobleme + günstige Situationen (Deutschland), Die zehn entscheidenden Gefahrenmuster erkennen (Mair / Nairz - Österreich), „Wer geht wann wohin? – W3“ (Naturfreunde Österreich). Als ganzheitlichere Methode „Stop or Go“ (Larcher - ÖAV), Faktorencheck (Englert - DAV), Lawinen-Mantra (DAV; erstmals für den Winter 2016/2017 präsentiert von Mersch/Hocke), Achtung Lawinen (Faltblatt Ausgabe Schweiz ohne Schneedeckentest), „Achtung Lawinen“ (Faltblatt Ausgabe Deutschland mit sehr knappem Hinweis auf die Möglichkeit eines Schneedeckentests) und schließlich die analytischen Methoden mittels Schneedeckentest wie die Norweger-Methode(Faarlund / Kellermann), Großer Rutschblocktest (Föhn), Kleiner Blocktest (Kronthaler), Nietentest (Schweizer), Extended Column Test (ECT), Propagation Saw Test (PST) bis hin zur Systematischen Schneedeckendiagnose zur Beurteilung der Lawinengefahr (Lawinenwarndienst Bayern).

Wissenschaftlich sei festgestellt, so Beulke, dass bei tatsächlich kritischen Situationen signifikant abweichende Ergebnisse in der Gefahrenbeurteilung auftreten können und dem Anwender klar sein müsse, dass der spezifische Einsatz einer Methode allein seine Risikoeinschätzung im Extremfall um zwei Risikostufen verschieben könne. Beulke kommt zu dem Schluss: Eine stärkere Vereinheitlichung der Methodenlehre zur Beurteilung der Lawinengefahr dürfte dringend erforderlich sein.

Dr. Burger ergänzte, dass zumindest im hiesigen Bereich die so genannte strategische Lawinenkunde wie auch die klassische, analytische Methode (Blick in die Schneedecke) bis dato keine juristische Qualität einer verbindlichen Verkehrsnorm erreicht haben. Sofern nicht schon eine die Strafbarkeit ausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung vorliege, sei die Situation im konkreten Hang zum Zeitpunkt des Unfalls aus Sicht eines gewissenhaften, verständigen und besonnenen Touren- oder Schneeschuhgehers entscheidend, wie dies auch der DAV publiziere. „Was allerdings immer wieder zu kommunizieren ist: Der Lawinenlagebericht ist außerordentlich wichtig, beschreibt aber die regionale, und nicht die auf den Einzelhang bezogene Gefahrenlage. Insbesondere am oder vor dem Einzelhang sei der Tourengeher oder Führer in besonderer Weise gefordert!“, betonte Dr. Burger.

Abschließend sprachen Geyer und Spindler dem scheidenden 1. Vorsitzenden Dr. Burger im Namen aller Gutachter und Verbände ihren besonderen Dank aus und überreichten ihm ein alpines Gemälde von Joe Schwegler (Berchtesgadener Land), begnadeter Zeichner, zugleich Chef des Heeresbergführerverbandes und selbst aktiv im Gutachterkreis tätig.

red/Pressemitteilung BRK BGL
Bilder © BRK BGL
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