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An einem dünnen Seil zweihundert Meter über Bärngschwendt

Rettungsflieger von „Christoph 14“ üben mit der Bergwacht für Rettungstau-Einsätze im Gebirge

Die Abläufe wirken routiniert, für den unwissenden Beobachter oft aber auch gefährlich und abenteuerlich: In Zusammenarbeit mit den örtlichen Bergwachten setzt die Besatzung des Traunsteiner Rettungshubschraubers „Christoph 14“ seit mittlerweile 13 Jahren erfolgreich das „Rettungstau-Verfahren“ ein, um verletzte, erkrankte oder in Not geratene Bergsteiger aus unwegsamen Gelände ins Tal zu fliegen. Der Arbeitsplatz in luftiger Höhe auf der Hubschrauberkufe oder am Ende des Fixtaus ist für viele Menschen faszinierend und angsteinflößend zugleich, doch für die Profis nur Alltag. Pünktlich zum Beginn der Bergsteigersaison haben sie im Ruhpoldinger Ortsteil Bärngschwendt ihr Zusammenspiel geübt, denn nur durch optimierte Teamarbeit gelingt es ihnen im Ernstfall, alle Gefahren richtig einzuschätzen und die verbleibenden Risiken auf ein Minimum zu reduzieren. Markus Leitner von der Pressestelle des Roten Kreuzes war mit dabei und hat den Rettern bei ihrem oft anstrengenden Job über die Schulter geblickt.

„Bei freier Sicht und wenn es nicht zu stürmisch ist, fliegen wir“
Es ist einer dieser Tage, an denen sich der April nicht so recht entscheiden kann, ob er denn nun noch zum Winter gehört oder doch schon den Frühling einkehren lässt. Eine Mischung aus Eisregen und Schnee zieht sich immer wieder wie ein frostiger Vorhang durch die schon hellgrüne Hügellandschaft. In Richtung Weitsee ist alles weiß eingehüllt und vom Osten her leuchten bereits kontrastreich die grünen Wiesen, Bäume und Sträucher auf – ein imposantes Schauspiel der Natur, besser als jedes Bühnenbild. Ort des Geschehens ist Bärenschwendt  bei Ruhpolding. Wer gerade nicht dran ist, drängt sich in einer kleinen Hütte um einen noch kleineren Ofen, denn draußen weht ein frischer Wind mit Temperaturen um den Gefrierpunkt – Hundewetter halt, das die Retter aber nur wenig beeindruckt. „Wenn am Berg etwas passiert, fragt auch keiner nach dem Wetter. Bei freier Sicht und wenn es nicht zu stürmisch ist, fliegen wir. Sonst muss die Bergwacht den Einsatz zu Fuß und mit Fahrzeugen abwickeln, was ganz schön aufwendig werden kann“, erklärt Stationsleiter Robert Portenkirchner, Luftrettungsassistent beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK). Seit über 30 Jahren ist das BRK im Auftrag des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung der Betreiber der Rettungshubschrauberstation in Traunstein. Das Rettungstau-System für Einsätze im unwegsamen Gelände wurde im Jahr 2010 insgesamt 48 mal benötigt.

Ecki muss die Scheibenheizung einschalten
Rundherum sind nur vertraute Gesichter und alle kennen sich – von den vielen Einsätzen und Übungen, aber auch privat, denn viele leben in der Region, mit den Menschen, denen sie im Ernstfall helfen. Es geht freundschaftlich zu bei den Traunsteiner Luftrettern: Die beste Basis für gute Teamarbeit. „Eigentlich hat es bei den halbjährlichen Übungen bisher fast nur geregnet oder geschneit; Sonnenschein hatten wir nur letztes Jahr am Thumsee und 2008 im Pidinger Klettersteig“, erinnert sich Bergwacht-Regionalausbilder Manfred Hasenknopf, der dick eingepackt allein in der matschigen Wiese im Tal steht und Funkkontakt zum dunkelblauen Verbindungshubschrauber der Bundespolizei hält. „Der hat den gleichen Doppellasthaken wie der orangefarbene Rettungshubschrauber“, erklärt er. Am 25 Meter langen Rettungstau unter der Maschine behaupten sich gerade tapfer ein Bergwacht-Luftretter und ein Notarzt der Hubschrauber-Station gegen die eisigen Schneeböen; Pilot Eckhart Steinau (Ecki) bringt sie zum Absetzpunkt am Berg; er muss die Scheibenheizung des Cockpits einschalten, um den Durchblick zu behalten – wie im Auto läuft alles an und vereist. Da er während des Einsatzes den Bereich unterhalb der Maschine selbst nicht einsehen kann, vermindert die einwandfreie Verständigung über Funk die Unfallgefahr immens. Luftrettungsassistent Günther Hocheder kniet gesichert und voll konzentriert als verlängertes Auge auf der linken Kufe des Hubschraubers und blickt direkt zum Tauende hinab. Er informiert Ecki über Hindernisse und teilt ihm mit, wann Retter und Patient am Tau eingehängt werden.

Nichts für jedermann: Ein anstrengender Knochenjob
Rettungsfliegerei heißt oft Einsatz unter extremen Bedingungen. Jetzt, wo die Tage wieder länger werden, nimmt auch die Zahl der Einsätze zu. Der Dienst an der Station beginnt um 7 Uhr und dauert, bis es dunkel wird, im Sommer also manchmal bis zu 15 Stunden lang. An guten Tagen folgt ein Alarm auf den anderen – dann kehrt die Besatzung nur zum Tanken an die Station zurück. Sind mehrere Bergeinsätze dabei, dann wird die Arbeit auf dem Rettungshubschrauber richtig anstrengend und zum Knochenjob. Ich selbst bekomme einen kleinen Einblick, als ich rund 30 Minuten lang per Gurt gesichert auf der gegenüberliegenden Kufe stehe und den Rettungsassistenten und die Retter am Tau bei ihrer Arbeit beobachte. „Zwei links, … drei rechts!“, meldet Günther an Ecki über die Bordsprechanlage, als die Maschine über dem Absetzpunkt steht. Ecki korrigiert die Position des Hubschraubers so lange, bis die Retter punktgenau am Boden abgesetzt werden können. „Auf der breiten Wiese geht das relativ einfach, im Ernstfall müssen wir aber das Tau zum Beispiel in eine enge Lichtung zwischen Bäumen einfädeln oder die Besatzung auf einem schmalen Felsvorsprung absetzten; da kommt es auf jeden Meter an“, erklärt mir Robert. Die Rettungstau-Fliegerei ist also eine durchaus knifflige Angelegenheit, die viel Können und Übung aller Beteiligten voraussetzt.

Ein flaumiges Gefühl im Magen
Während ich von der Kufe nach unten blicke, schwingt das Tau mit den Einsatzkräften durch eine Schneeböe angestoßen hin und her, scheinbar schutzlos den Naturgewalten ausgeliefert. Ecki gelingt es relativ rasch, die Pendelbewegungen mit dem Hubschrauber auszugleichen, was Günther und ich auf den Kufen durch Kippbewegungen direkt mitbekommen – wenn mans nicht gewohnt ist, ein flaumiges Gefühl im Magen. Eigentlich bin ich richtig gut eingepackt, doch die wenige freie Haut im Gesicht und an den fingerspitzenfreien Handschuhen reicht aus, dass es mir nach einiger Zeit im eisigen Wind richtig kalt wird. Wieder am Boden angekommen dauert es ein wenig, bis das Gefühl in die Fingerspitzen zurückkehrt. Allein die Kälte schlaucht schon gewaltig – dazu kommen für Pilot, Rettungsassistent, Notarzt und Bergwacht-Luftretter der körperliche Krafteinsatz und die Hirnarbeit durch volle Konzentration und Aufmerksamkeit. Der Rettungshubschrauber in Traunstein ist ein richtiges Patchwork-Projekt: Die Station wird vom Landesverband des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) betrieben; den modernen Hubschrauber vom Typ EC135T2i stellt das Bundesinnenministerium über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zur Verfügung. Beamte der Bundespolizei-Fliegergruppe kommen als Piloten zum Einsatz. Die Luftrettungsassistenten werden vom BRK-Kreisverband Traunstein, die Notärzte vom Klinikum Traunstein gestellt.

Allein zwischen Himmel und Erde
Als ich kurze Zeit später selbst mit Hubert am Tau hänge, klart der Himmel ein wenig auf. „In Flugrichtung Hindernisfrei!“, meldet er per Funk an den Piloten. In kreisenden Kurven schraubt sich die Maschine 25 Meter über uns langsam höher und zieht uns wie ein unsichtbarer Aufzug empor. Vom Rotorenlärm bekommen wir dank unserer Funkhelme so gut wie nichts mit. Wir sind alleine, zwischen dem blauweißen Himmel und der rasch vorbeisausenden Erde weit unter uns – nur der kalte Flugwind pfeift scharf an unserer Kleidung entlang, drückt uns die Haut aus dem Gesicht, so dass die Augen ein wenig tränen. Wir genießen die schöne Aussicht auf Ruhpolding, bis wir uns dem Absetzpunkt nähern, wobei es aus dieser Entfernung gar nicht so einfach ist, die Leute am Boden auszumachen. „Einsatzstelle auf 9 Uhr – erkannt?“ fragt Ecki über Funk. Hubert hält Ausschau, bestätigt sofort und beginnt wenig später mit lauter Stimme zu zählen, um dem Piloten den geschätzten Abstand in Metern mitzuteilen: „Zehn, … acht, … sechs, … vier, … zwei, … Boden!“ Wir sind sanft wie eine Feder auf der Wiese aufgekommen und auch nicht mitgeschleift worden – Präzisionsarbeit von allen.

Sicherheitscheck beim Abheben
Ein Bergwachtmann nähert sich, dem Wetter entsprechend luftdicht eingepackt mit einer Sturmhaube, einer großen Skibrille und keinem Zentimeter freier Haut mehr. „Christian, bist Du das?“, frage ich und er nickt nur und lacht. Nachdem sich die nächsten Teilnehmer mit ihren Stahlkarabinern bereits am Tau eingehängt haben, lässt Ecki den Hubschrauber langsam steigen, bis das Tau straff ist – vorm Abheben findet ein letzter Sicherheitscheck statt – ist alles richtig verbunden? Haben sich Tau oder Schlingen irgendwo verfangen? Jetzt am Boden kann noch nachgebessert werden, später, einige hundert Meter hoch in der Luft würde es richtig gefährlich werden, wenn etwas nicht passt. Im Einsatzfall trägt der Bergwachtmann oder Notarzt nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern muss auch ständig auf die Sicherheit des zu Rettenden achten. Alles geht gut, denn trotz aller Routine sind die Übenden mit voller Aufmerksamkeit bei der Sache. Als ich kurz vor der Mittagspause mit Christian auf dem Rückflug ins Tal am Tau hänge, bricht die Sonne durch die Wolken und lässt Tal und Berge in allen Farben erstrahlen. Der Frühling beginnt …

Pressemitteilung BRK BGL
Bilder © Leitner BRK BGL
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