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Begraben unter tonnenschwerem Schnee: Feine Spürnasen schnüffeln am Lawinenkegel

Lawinen- und Suchhundestaffel der Bergwacht-Region Chiemgau trainiert am Predigtstuhl die Suche nach verschütteten Wintersportlern

Für den dreieinhalbjährigen Schäferhundrüden Max ist es nur ein Spiel, für den unter tonnenschwerem Schnee verschütteten Tourengeher geht es im Ernstfall um Leben und Tod – jede Minute zählt. „Wo ist der arme Mann?“, ruft der Angerer Bergwachtmann und Hundeführer Jörg Riechelmann. Max ist seit Januar voll ausgebildeter C-Hund und steuert schnurstracks über den Hang zwischen Predigtstuhl und Hochschlegel auf das Schneeloch zu; mit spitzen Pfoten, denn es hat minus 19 Grad, der Schnee ist harsch und eisig und nach wenigen Sekunden gefriert der Atem. Nur eine Hand voll Wintersportler hat sich heute ins Freie gewagt und ist mit der Großkabinenbahn heraufgefahren; die Lawinen- und Suchhundestaffel der Bergwacht-Region Chiemgau nutzt die Abgeschiedenheit und Ruhe des arktischen Wintertags, um die Verschüttetensuche nach einem Lawinenabgang zu trainieren.

Der betonharte Schnee umhüllt meinen Körper
Es ist dunkel und kalt und ich kann mich nicht bewegen; der betonharte Schnee umhüllt meinen Körper und lässt mir nur eine winzige Atemhöhle. Im Loch hört man alles: Jeden Schritt der Helfer und das Schnüffeln der Hunde, zwei Meter über mir. Wann werden sie mich finden? Die Zeit wird relativ im weißen Grab. In den diffusen Resten des Tageslichts, die durch den Schnee nach unten dringen, zeichnen sich flackernde Schatten ab, als der Lawinenhund vorbeihuscht. Sie sind ganz in der Nähe; gleich wittert er mich. Gefangen in der Bewegungslosigkeit des Lawinenfelds läuft ein Kopfkino ab, denn selbst die leisesten Geräusche dringen zu mir herab und präsentieren sich als bizarres Hörspiel. Ich bin verschüttet, aber verfolge genau, wie sie nach mir suchen. „So feinsinnig sieht wohl nur ein Blinder“, denke ich mir und will meinen Rücken etwas drehen, der vom langen Liegen bereits schmerzt; keine Chance, denn die Höhle ist zu eng und der Schnee zu hart. Das Schnüffelgeräusch kommt näher; ein Scharren über mir und es knirscht, als der Vierbeiner zu graben anfängt. „Einsatzleitung von Hundeführer – mein Hund verweist“, schallt es aus den Funkgeräten der Suchmannschaft. Nach wenigen Minuten erscheint eine scharrende Pfote vor meinem Gesicht, dann folgt die Schnauze und schließlich blicke ich in die Augen meines vierbeinigen Retters, der mich im riesigen Lawinenfeld zielsicher gefunden hat. „Gut gemacht, Max!“ Zur Belohnung bekommt der Schäferhund sein Bringsel, einen Tennisball, sein liebstes Spielzeug. Nur mit viel Mühe gelingt es den nachrückenden Schauflern, mich aus meiner misslichen Lage zu befreien. Klar, alles nur eine Übung, doch ohne fremde Hilfe wäre ich aus diesem Loch sicher nicht mehr herausgekommen.

Ein Lawinenhund ersetzt 20 Bergwachtleute
Im gesamten Alpenraum sterben jährlich rund 120 Menschen nach Lawinenverschüttung. Die Tendenz ist aufgrund immer größerer Risikobereitschaft steigend. In wie weit ein Unfall selbst verschuldet ist, spielt im Ernstfall keine Rolle: Die Einsatzkräfte der Bergwacht im BRK sind neutral und helfen jedem, der in Not geraten ist. Trotz guter Wintersportbedingungen mussten die Retter in der aktuellen Saison bisher nur zu zwei Lawinenunfällen und einer Vermisstensuche in den Berchtesgadener und Chiemgauer Alpen ausrücken. Ein Lawinenhund ersetzt bei der Suche nach Verschütteten und Vermissten 20 Bergwachtleute und sein Geruchsvermögen ist rund eine Million mal besser wie das des Menschen: Nach wie vor ist der Einsatz von Hunden die effektivste Methode, um Lawinenopfer schnell und effektiv aufzuspüren. Gut riechen können Hunde von Geburt an. Was sie aber suchen sollen, müssen sie Schritt für Schritt lernen. Bei der rund dreijährigen Ausbildung zum Suchhund wird vor allem der Spieltrieb der Tiere genutzt. „Wir trainieren nicht den angeborenen Geruchsinn der Hunde. Wir bringen ihnen nur bei, dass sie die gestellten Aufgaben wesentlich einfacher lösen, wenn sie ihre Nase einsetzen“, erklärt der Reichenhaller Hannes Jahrstorfer, dessen Schäferhundrüde Andi mit neun Jahren schon fast zu den Rentnern gehört, aber souverän und konzentriert arbeitet. Jahrstorfer: „Zwar etwas langsamer und weniger spritzig als seine jüngeren Kollegen, dafür systematischer und genauer.“

Einsatz in der Lechnerrinne im Lattengebirge
Auf der Lawine verweist der Hund durch Scharren im Schnee, bei der Flächensuche im Sommer zeigt er dem Hundeführer an, dass er etwas gewittert hat, indem er zurückkommt und sein Bringsel, das er immer um den Hals trägt, ins Maul nimmt. „Das ist besser als lautes Bellen, da viele Menschen sonst Angst vor dem Hund bekommen würden“, erklärt Riechelmann, der am 31. Januar zusammen mit seinem Max in der Lechnerrinne im Lattengebirge im Einsatz war. „Als zweites Team nach dem Reichenhaller Hundeführer Stefan Strecker und seinem achtjährigen Labradorrüden Joschi. „Christoph 14“ hat uns sofort von der Kaserne auf den Berg geflogen. Der Verletzte lag auf der Lawine, wir wussten aber nicht, ob noch weitere Beteiligte verschüttet sind. Mit den beiden Hunden konnten wir den Lawinenkegel sehr schnell absuchen.“

Feinsinnige Hundenasen kombiniert mit moderner Technik
Nicht jeder Hund taugt zum Lawinenhund. Das Tier braucht eine große Stressresistenz, muss aufs Wort gehorchen und körperlich absolut fit sein. C-Hunde wie Joschi, Max und Andi sind voll ausgebildet und arbeiten flink und effektiv, lassen Apparate wie Radar- oder Lawinen-Verschütteten-Suchgeräte (LVS) hinter sich. Trotzdem kombinieren die Retter die Fähigkeiten des Hundes mit moderner Technik. „Sommer wie Winter müssen wir oft riesige Gebiete absuchen, wenn am Berg jemand vermisst wird und haben meist keine genaueren Angaben, um das in Frage kommende Gebiet genauer einzugrenzen. Dabei vergehen für verletzte und unterkühlte Patienten wertvolle Stunden“, berichtet Strecker. Seit rund zwei Jahren werden deshalb bei Bedarf von den Hunden auch GPS-Empfänger getragen, die die zurückgelegte Wegstrecke permanent aufzeichnen, die dann immer wieder am Computer ausgewertet wird. Strecker: „Kreuzen sich die Linien am Bildschirm, läuft der Hund also mehrmals über dieselbe Stelle, hat er mit großer Wahrscheinlichkeit die Witterung des Vermissten aufgenommen – den entsprechenden Teilabschnitt suchen wir dann nochmals genauer ab.“ Auf der Lawine trägt der Hund in Geschirrtaschen ein auf Suchen eingestelltes LVS-Gerät bei sich, das seine Töne per Funk an den Hundeführer schickt. Riechelmann: „Max ist am Berg wesentlich flinker unterwegs als ich und meistert große Flächen in kürzester Zeit. Nähert er sich einem Verschütteten mit LVS-Gerät, bekomme ich das per Tonsignal sofort mit und kann reagieren.“

Ein schwieriger und harter Job
„Immer wieder rufen Hundebesitzer bei uns im Büro an, die mit ihrem Vierbeiner etwas Sinnvolles machen wollen. Das ist gut gemeint, aber nicht so einfach, denn Lawinenhundeführer kann bei uns nur werden, wer die komplette, anspruchsvolle Bergwacht-Grundausbildung durchlaufen hat“, weiß Regionalgeschäftsführer Ludwig Lang. Nicht ohne Grund, denn ein Lawineneinsatz ist bedingt durch Gelände, Zeitdruck und mögliche Nachlawinen mitunter das Schwierigste und Gefährlichste, was der Bergwachtdienst zu bieten hat. Der Hundeführer kommt in der Regel mit dem Hubschrauber als erster am Lawinenkegel an, muss als Einsatzleiter sofort die richtigen Entscheidungen treffen, einige Zeit alleine klarkommen und gegebenenfalls durch schwieriges Gelände abfahren. Die Vierbeiner wissen nichts von ihrem ernsten Job, bei dem es um Leben und Tod geht: Für die Hunde ist alles nur ein großes Spiel. Aktuell gehören neun Suchhundeteams mit sechs voll ausgebildeten C-Hunden und drei B-Hunden zur Staffel, die rund um die Uhr einsatzbereit ist und von der Leitstelle Traunstein per Funkmeldeempfänger alarmiert wird. Die Arbeit mit den Tieren ist mühsam, oft ein Geduldsspiel und eigentlich nur etwas für echte Fanaten: Erst nach rund dreijähriger, intensiver Ausbildung ist der Hund fit für den Einsatz, fünf Jahre später lassen die ersten Tiere bereits wieder nach. Ein Lawinenhund kostet unzählige Stunden für Ausbildung und Übung und einige tausend Euro Unterhalt für Futter, Tierarzt und Einsatzausrüstung. Deshalb ist es für den Hundeführer das Größte, wenn sein Tier einen Einsatz erfolgreich meistert, wie Max im Dezember 2011 im steilen Gelände am Windeck, einem Vorgipfel des Hochgern. Der Hund hatte während einer groß angelegten Vermisstensuche die Witterung eines abgängigen, tödlich abgestürzten Mannes aufgenommen, der unterhalb einer Felswand nicht einsehbar zwischen Tannen lag und ohne tierische Unterstützung wohl kaum gefunden worden wäre. „Da macht sich dann plötzlich all der Aufwand bezahlt“, erklärt Herrchen Jörg Riechelmann. Max hat dafür die „Plakette für erfolgreichen Einsatz“ des Deutschen Schäferhundevereins verliehen bekommen.

Jede Minute zählt
Der Faktor Zeit spielt bei der Lawinenrettung die größte Rolle: Etwa 20 Prozent der Verschütteten sind bereits beim Stillstand einer Lawine aufgrund ihrer schweren Verletzungen tot, bedingt durch Absturz oder die Wucht des Schnees. Auch mit vorhandener Atemhöhle ist nach einer halben Stunde etwa die Hälfte aller Lawinenopfer wegen Sauerstoffmangel tot; ohne Atemhöhle versterben 50 Prozent bereits nach 15 bis 20 Minuten. Nach einer dreiviertel Stunde sind statistisch betrachtet 75 Prozent der Verschütteten erstickt. Neben der schnellen Kameradenhilfe mit Verschütteten-Suchgerät, Sonde und Schaufel ist vor allem entscheidend, dass die Suchhundeteams möglichst rasch zum Einsatzort gelangen – bei Flugwetter per Hubschrauber, ansonsten mit dem Motorschlitten, per Seilbahn, mit der Pistenraupe oder wenn es nicht anders geht auch zu Fuß. Auf dem Predigtstuhl ist am frühen Nachmittag Schluss. Nach vier Stunden bei eisigem Wind haben die Einsatzkräfte und auch die Hunde genug. In der Teisendorfer Hütte warten Brotzeit und heißer Tee; wieder aufgewärmt geht’s danach mit der Seilbahn zurück ins Tal. Der Winter hat das Berchtesgadener Land weiter fest im Griff und der nächste Einsatz kommt bestimmt. „Danke, ihr Eishelden!“ steht am folgenden Morgen doppelseitig über dem Foto von Stefan Strecker und Joschi in der Bild am Sonntag, die auf dem Frühstückstisch liegt – eine würdige Anerkennung für all den Aufwand im Hintergrund. „Wir sind nach einer halben Stunde am Einsatz und mein Janosch riecht Menschen, die bis zu vier Meter tief verschüttet sind.“ … mal keine Übertreibung, denn so ist es!

Pressemitteilung BRK BGL
Bilder © Leitner BRK BGL
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