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Wenn es auf jede Minute ankommt: Lawinenhunde auf der Suche nach Verschütteten

Die Bergwacht Lawinen- und Suchhundestaffel Chiemgau übt bei Schneegestöber am Predigtstuhl den Ernstfall.

Der Schnee in diesem Winter lässt weiter auf sich warten: Erst ab einer Höhenlage von 1.400 bis 1.500 Metern liegen ausreichend große Mengen der weißen Pracht, um eine richtige Skitour zu unternehmen. Dass aber dennoch gerade aufgrund des heuer sehr ungünstigen Schneedeckenaufbaus eine nicht unerhebliche Lawinengefahr herrscht, hat das Unglück im Wattener Lizum in Tirol mit fünf Toten Anfang des Monats wieder verdeutlicht. Trotz des wenigen Schnees oder auch gerade deshalb hat die Lawinen- und Suchhundestaffel der Bergwacht Chiemgau einen Übungstag am Predigtstuhl eingelegt. Sechs Suchhundeteams von Schleching bis Berchtesgaden fuhren mit der Seilbahn auf den Berg und gingen an den Start. „Diesmal lag zur Übung zumindest so viel Schnee, dass die beiden Mimen in ihren Schneehöhlen ein bis zwei Meter tief unter der Oberfläche vergraben werden konnten“, erklärt Staffelleiter Stefan Strecker.

Bereits am Freitagnachmittag hatte der Reichenhaller Hundeführer Jörg Riechelmann zusammen mit Staffel-Urgestein und Hundeausbilder Helmut Lutz in stundenlanger Schaufelei vier große und für die Mimen geräumige Schneehöhlen vorbereitet. Am Samstagmorgen bezogen dann die Mimen Andreas Tegethoff und Helmut Lutz ihre Löcher im Boden – für lange Wartezeiten ausgerüstet mit Isomatte, Schlafsack, Funkgerät und Lawinen-Verschütteten-Suchgerät (LVS). Die anderen beiden Höhlen blieben leer, um den Hunden zu verinnerlichen, dass nicht jedes Loch und jede Aufschüttung automatisch einen Menschen verbirgt. Strecker: „Wir erreichen damit, dass sich die Hunde nicht vom Trubel auf der Lawine ablenken lassen, nicht an optischen Signalen orientieren, sondern nur ihre Nase und ihren Geruchssinn einsetzen.“

Die Staffel-Kameraden schaufelten einen Höhleneingang zu und traten den Schnee richtig fest, damit kaum mehr eine Verbindung zur Außenwelt besteht. Bei der zweiten Höhle wurden nur Schneebrocken vor den Eingang gelegt, um die unterschiedlichen Verschüttungsszenarien des Ernstfalls zu simulieren. Während ihre Herrchen wissen, dass es um Leben und Tod geht, ist für die Hunde der Bergwacht Chiemgau die Suche nach Verschütteten in der Lawine nur ein Spiel. Für die Verschütteten selbst, die bei Bewusstsein jedes Gespräch, jeden Schritt, alle Aktionen der Retter und sogar das Schnüffeln und Scharren der Hunde auf der Lawine hören können, zählt jede Minute. Aus der Lawine heraus dringt dagegen kein Ton an die Schneeoberfläche; Schreien und Rufen des Verschütteten ist in der Regel völlig zwecklos.

Zuerst ist der zweijährige Schäferhundrüde Enzo von Jörg Riechelmann an der Reihe: Als voll ausgebildeter C-Hund steuert er zielgerichtet auf den ersten Verschütteten Andreas Tegethoff zu, dessen Höhleneingang mit viel verdichtetem Schnee komplett verschlossen ist – dennoch dringen noch genügend menschliche Geruchstoffe an die Oberfläche, um das Tier anzulocken – „so als ob dort eine unsichtbare, besonders leckere Wurst im Schnee liegen würde“, scherzt Riechelmann. Enzo fängt sofort mit seinen Pfoten eifrig an zu graben – er verweist und signalisiert seinem Herrchen den Fund; Riechelmann rückt nach, ortet den Verschütteten mit der Lawinensonde und würde nun eigentlich anfangen, ihn per Schaufel auszugraben. „Eine sehr schnelle und professionelle Ortung und Rettung“, lobt Strecker. Riechelmann zieht den Hund dann aber wieder weg. „Bei der heutigen Übung liegt der Schwerpunkt darin, dass die Hunde den Verschütteten nicht mit ausgraben dürfen, sondern ohne Erfolgserlebnis sofort zum nächsten Verschütteten durchstarten sollen – bei einer Mehrfachverschüttung eine sehr wichtige Fähigkeit“, erklärt Strecker.

Im Ernstfall mit mehreren Verschütteten werden die Georteten nicht vom Suchhundeteam ausgegraben, sondern von einem nachrückenden, eigenen Schaufelteam, das aus mehreren Bergrettern besteht, die abwechselnd den oft meterdicken Schnee zum Verschütteten abtragen, ihn freilegen und die medizinische Erstversorgung durchführen. Enzo ist zunächst irritiert und sichtlich enttäuscht, als sein Hundeführer ihn am Halsband wegzieht – das kennt er noch nicht. Beim diesjährigen Winterkurs auf der Reiter Alpe im Januar durfte er doch auch immer den Gefundenen ausgraben, warum heute nicht? Jörg Riechelmann dirigiert den Rüden bereits zum nächsten Einsatzort: Für weitere Überlegungen des Hunds bleibt keine Zeit – es zählt, was das Herrchen bestimmt.
Beim zweiten Verschütteten Helmut Lutz, der in einer Tiefe von rund eineinhalb Metern liegt, hat Enzo auch keine Probleme mit der Ortung: Trotz einsetzendem Schneegestöber schnüffelt er zielstrebig zu Helmut und fängt mit seinen Pfoten eifrig an zu scharren. Hier darf er nun endlich zusammen mit seinem Hundeführer den Verschütteten soweit ausgraben, dass er sein Bringsel, das liebste Spielzeug, das Helmut bereits in Händen hält, als Belohnung bekommt.


Die sechs Suchhundeteams arbeiten sich an diesem Samstagvormittag durch den Parcours zwischen Predigtstuhl und Berghotel. Die voll ausgebildeten C-Hunde bewegen sich mit einer routinierten Sicherheit und Zielstrebigkeit auf die Verschütteten zu. Die am Beginn der Ausbildung stehenden Lawinensuchhunde sind noch mehr in Zickzackbewegungen unterwegs, finden jedoch alle in relativ kurzer Zeit die beiden Mimen. „Als Beobachter der Suchabläufe ist es immer wieder faszinierend, mit welcher Geschwindigkeit die Hunde ihre gestellten Aufgaben erledigen. Selbst als Routinier mit einem LVS-Gerät in der Hand wäre wohl keiner so schnell bei einem Verschütteten wie die Tiere mit ihrer feinsinnigen Nase“, berichtet Bergwacht-Pressesprecher Marcus Goebel begeistert.

Der Faktor Zeit spielt bei der Lawinenrettung die größte Rolle: Etwa sieben Prozent der Verschütteten sind bereits beim Stillstand einer Lawine aufgrund ihrer schweren Verletzungen tot, bedingt durch Absturz, Hindernisse oder die Wucht des Schnees. Auch mit vorhandener Atemhöhle ist nach einer halben Stunde etwa die Hälfte aller Lawinenopfer wegen Sauerstoffmangel tot; ohne Atemhöhle versterben 50 Prozent bereits nach 15 bis 20 Minuten. Nach einer dreiviertel Stunde sind statistisch betrachtet 75 Prozent der Verschütteten erstickt. Neben der schnellen Kameradenhilfe mit LVS-Gerät, Sonde und Schaufel ist vor allem entscheidend, dass die Suchhundeteams möglichst rasch zum Einsatzort gelangen – bei Flugwetter per Hubschrauber, ansonsten mit dem Motorschlitten, per Seilbahn, mit der Pistenraupe oder wenn es nicht anders geht auch zu Fuß.

red/Pressemitteilung BRK BGL
Bilder © Goebel BRK BGL
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