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Seit zehn Jahren Beistand in den schwersten Stunden

BRK-Kriseninterventionsdienst feiert zehnjähriges Bestehen – Hilfe für Helfer wird fünf Jahre alt

Als Helmut Langosch, der Pionier des Kriseninterventionsdienstes (KID) im Landkreis, vor zehn Jahren seine ersten Gehversuche machte, riefen die Einsatzkräfte noch Tag und Nacht bei ihm persönlich am Handy an, wenn Betroffene oder Angehörige von schwer Verletzten oder Verstorbenen akut psychische Erste Hilfe brauchten – KID war für die meisten damals noch ein Fremdwort und die „Psychosanis“ wurden oft als Exoten belächelt. Heute, rund 700 Einsätze und einige tausend betreute Menschen später, ist der Dienst längst institutionalisiert und die Ausbildung standardisiert: Die derzeit 35 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Psychosozialen Notfallversorgung des Roten Kreuzes werden von der Leitstelle Traunstein alarmiert und KID, aber auch Critical-Incident-Stress-Management (CISM), die Hilfe für die Helfer, gehören bei schweren Einsätzen so selbstverständlich mit dazu wie Notarzt, Rettungsdienst oder Feuerwehr.

Was ist von Anfang an gleich geblieben? Der Dienst ist für alle Betroffenen kostenlos, die Helfer arbeiten alle ehrenamtlich und im Stillen und ihre Ausbildung und Supervision wird zu hundert Prozent über Spenden finanziert. Zehn Jahre KID und fünf Jahre CISM: Einsatzkräfte, Freunde, Förderer und Wegbegleiter der Dienste hatten am Wochenende gleich doppelten Anlass zum Feiern. Mit einem Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Andreas und einem Festakt im Pfarrheim erinnerten geistlicher Rat, Dekan Peter Demmelmair und KID-Leiter Helmut Langosch an die Höhen und Tiefen der mittlerweile als Fachdienst der BRK-Bereitschaften organisierten Psychosozialen Notfallversorgung im Berchtesgadener Land. Der Ort des Jubiläums war nicht zufällig gewählt, denn im Oktober 2000 hatte im Pfarrheim mit der ersten Information an die Führungskräfte der Hilfsorganisationen über das Vorhaben KID alles angefangen. Wie viele an diesem Projekt direkt und indirekt beteiligt waren und sind, zeigten die übervollen Räume. Langosch und sein Stellvertreter Daniel Bechtel hatten alle eingeladen, die ihr Team mit aufgebaut, begleitet und unterstützt hatten. Musikalisch begleitete die Rhythmus- und Gesangsgruppe Unterstein unter der Leitung von Andrea Reichenwallner mit stimmungsvollen aber auch optimistisch-hoffnungsvollen Stücken den Gottesdienst.

Schwäbische Gäste in Berchtesgaden? Dieter Lenzenhuber und das Ärzteehepaar Dr. Christine Schottdorf-Timm und Dr. Christian Timm, alle drei seit vielen Jahren aktiv in der Aus- und Fortbildung von Kriseninterventionshelfern, nahmen als Ehrengäste an der Feier teil, denn der KID im Berchtesgadener Land ist eigentlich ein Sprössling und Ableger des KID Augsburg: Ohne den Neusäßer Dieter Lenzenhuber, ehemaliger Landesfachdienstführer und Vater des KID gäbe es eine solche Gruppe heute vermutlich hier nicht. Langosch machte 2000 bei den Schwaben seine Grundausbildung und Praktika und wurde dort herzlich aufgenommen. Das erste Team war ursprünglich nur für den südlichen Landkreis rund um Berchtesgaden angedacht – aufgrund der vielen positiven Resonanz stieg aber die Nachfrage so sehr, dass bald Einsätze im gesamten Berchtesgadener Land abgewickelt werden mussten. Mitbegründer Pfarrer Peter Demmelmair begleitete das Team von Beginn an und war fünf Jahre lang selbst aktiver Kriseninterventionshelfer. In den ersten Monaten mussten Langosch und seine Mitstreiter viel Überzeugungs- und Informationsarbeit bei den Einsatzorganisationen leisten, denn KID war noch weitgehend unbekannt. Der damalige BRK-Kreisgeschäftsführer Edi Schmid und der ehemalige Kreisvorsitzende Martin Seidl setzten sich bei der Vorstandssitzung am 6. September 2000 dafür ein, dass der KID unter dem Dach des Roten Kreuzes segeln konnte.

Krisenberater sind oft schlagartig gefordert, denn schwere Unglücke ereignen sich plötzlich und ohne Vorankündigung: Andreas Müller-Cyran, katholischer Diakon, Rettungsassistent und Erfinder des KID konnte kurzfristig nicht am Fest in Berchtesgaden teilnehmen, da er vom Auswärtigen Amt zur Katastrophe nach Japan geschickt wurde. Der stellvertretende BRK-Kreisvorsitzende Roland Richter bedankte sich bei allen Kriseninterventionshelfern für ihre geleistete Arbeit und erinnerte an den auch für die Einsatzkräfte sehr belastenden Eishalleneinsturz 2006 in Bad Reichenhall, bei dem eine Vielzahl an KID-Mitarbeitern tagelang im Schichtdienst zusammen mit den betroffenen Angehörigen um ihre noch vermissten Verwandten hoffte und bangte. „Ich wüsste nicht, ob ich das könnte, was Sie leisten“, lobte Landrat Georg Grabner und sprach den Ehrenamtlichen seine höchste Anerkennung aus. „Ich weiß nicht, was wir ohne Euch bei der Betreuung der Familien beim Eishalleneinsturz getan hätten.“

„Das Leben ist nicht immer schön, sondern manchmal grausam, böse und ungerecht. Bei mir ist es jetzt 23 Jahre, zwei Monate, zehn Tage und vier Stunden her, dass ich nach einem Tag des Bangens die Nachricht vom Tod meines Vaters übermittelt bekam. Damals hätte ich Euch gebraucht. Es ist ein Geschenk, wenn jemand in den finsteren Stunden da ist“, sagte Berchtesgadens Bürgermeister Franz Rasp anerkennend. Einen Großteil der Einsätze absolviert der KID zusammen mit der Polizei. „Es ist so gut, dass es Euch gibt! Ich kenne die Zeit vor dem KID und die Gefühle, die Hilfslosigkeit und Einsamkeit, wenn man eine Todesnachricht überbringt. Wir waren früher nicht ausgebildet und hatten als Anleitung nur eine Broschüre. Ich hab danach die professionelle Arbeit des KID kennen- und schätzen gelernt“, lobte Berchtesgadens Polizeichef Günther Adolph im Namen aller Polizisten den Landkreises. Oft ist auch der Glaube ein Anker, um mit einem Unglück fertig zu werden. Im Einsatzfall arbeitet der KID des Roten Kreuzes deshalb eng mit den Notfallseelsorgern zusammen. „Wir mussten uns zusammenraufen und die Eishalle hat uns dann richtig zusammengeschweißt. Seither wissen wir, was wir aneinander haben“, lobte Diakon Johannes Häberlein als Sprecher der Notfallseelsorger.

„Dass aus diesem Pflänzchen während der letzten zehn Jahre mit viel Hegen und Pflegen eine schöne, starke Pflanze geworden ist, das ist Dein Verdienst, lieber Helmut!“, lobte Bezirksfachdienstleiterin Barbara Wieser, die an die fertig ausgebildeten Kriseninterventionshelfer ihre Zertifikate überreichte: Daniel Bechtel, Renate Lorenz, Karin Klecker, Bruder Claudius Namyslo, Margret Pfnür, Heidi Rasp, Birgit Schaub, Ingrid Stockklausner, Michael Storch und Renate Wendl. „Am Anfang war der KID nur Helmut. Wir haben in den ersten Monaten immer eine Handynummer raus gekramt und ihn persönlich angerufen. Dann kam er vorbei, damals noch mit seinem klapprigen Fiesta“, erinnert sich Dr. Reinhard Reichelt, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Berchtesgadener Land, der als Notarzt die Einsatzrealität im Rettungsdienst kennt und hautnah die ersten KID-Einsätze miterlebt hat. „Heute sagen wir ganz selbstverständlich und automatisch zur Leitstelle, wir brauchen den KID, aber so selbstverständlich ist das gar nicht, denn alle Kriseninterventionshelfer arbeiten ehrenamtlich, was aufgrund ihrer professionellen Arbeit schnell vergessen wird!“

Kreisbereitschaftsleiter Andreas Rautter und der stellvertretende Kreisvorsitzende Roland Richter bestellten Dr. Ulrich Mehl, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und psychosomatische Erkrankungen zum Wissenschaftlichen Leiter des Fachdienstes Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) der BRK-Bereitschaften im Berchtesgadener Land – seine Aufgabe: Die ständige Weiterentwicklung des Dienstes anhand neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dr. Mehl war fünf Jahre lang Supervisor und treuer Begleiter des CISM-Team BGL, hat aber nun von der Klinik Alpenland in Bad Reichenhall beruflich nach München gewechselt; sein bisheriges Amt der Fachaufsicht übernimmt die Diplom-Soziologin und Diplom-Psychologin Nora Beer-Messerschmidt von der Klinik für Berufskrankheiten in Bad Reichenhall. Sie verfügt über eine Zusatzausbildung in Notfallpsychologie und wurde zur neuen fachlichen Leiterin bestellt. „Unser aller Einsatz ist oft schwer, aber nicht umsonst, er lohnt sich!“, sagte Dr. Mehl in seinem Grußwort.

Die Auseinandersetzung mit Tod und menschlichen Leid geht auch an Einsatzkräften nicht immer spurlos vorüber. Dafür wurde vor fünf Jahren das CISM-Team ins Leben gerufen, dessen Hauptaufgabe vor allem darin besteht, die Einsatzorganisationen präventiv im Umgang mit Stress und Trauma zu sensibilisieren. „Seelische Verletzungen können ebenso dienstunfähig machen wie körperliche“, erklärte Langosch. Die acht ehrenamtlichen CISM-Mitarbeiter sind selbst im Roten Kreuz, in der Bergwacht, in der Feuerwehr, im THW, bei der Bundeswehr oder in der Krankenpflege aktiv und kennen die Arbeitsbedingungen aus eigener Erfahrung. Langosch: „Wir wollen ja auch mit betroffenen Einsatzkräften von etwas sprechen und nicht über etwas.“ Er lobte vor allem Kreisbrandrat Rudi Zeif und seine Feuerwehren, die das Thema CISM fest in die Ausbildung ihrer Jugend integriert haben.

Was ist KID eigentlich? „Zeit haben und anderen in den schwersten Stunden zuhören“, erklärte Langosch. „Ein Elternpaar, das seinen 16-jährigen Sohn durch einen Verkehrsunfall verliert, kann man nicht trösten. Aber man kann es in den ersten Stunden nach der der Überbringung der schrecklichen Nachricht begleiten – in Form vom Zuhören, um offene Fragen zu beantworten.“ Als besonders wichtig habe sich in der praktischen Arbeit auch eine zeitnahe Verabschiedung von den Verstorbenen herausgestellt. Die Helfer sind dabei oft mit massiver Trauer, Wut und Hoffnungslosigkeit konfrontiert, was emotional sehr bewegend und körperlich oft anstrengend sein kann, wobei manchmal auch etwas hängen bleibt: Im Kopf, im Herzen und an der Seele. Um das aufzuarbeiten und die eigene Gesundheit nicht zu gefährden, nehmen die Helfer monatlich und bei Bedarf in akuten Situationen Supervisionen durch Fachkräfte in Anspruch. Dr. Ulrich Mehl, Dr. Dieter Kern und Dr. Sabine Richter haben den Ehrenamtlichen dabei oftmals wertvolle Dienste geleistet.

Pressemitteilung BRK BGL

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