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Neues Forschungsprojekt zur Biodiversität im Nationalpark Berchtesgaden gestartet

Der Bereich Forschung und Monitoring im Nationalpark Berchtesgaden wurde mit dem Start der Kooperation mit der Technischen Universität München (TUM) im vergangenen Jahr deutlich verstärkt. In einem ersten, großen Projekt sollen nun die Auswirkungen des Klimawandels auf die Dynamik in Ökosystemen und deren Artenvielfalt untersucht werden.

Zahlreiche Forschungsfragen beschäftigen aktuell das neu zusammengestellte Team der Berchtesgadener Nationalpark-Forscherinnen und -Forscher, sie alle thematisieren die verschiedenen Facetten und Auswirkungen des Klimawandels. Auch wenn der Frühjahrsbeginn 2021 eher spät stattfand, werden die Sommermonate im Schnitt immer wärmer und somit beginnt die Vegetationsperiode zeitiger. Tier- und Pflanzenarten reagieren darauf und wandern entsprechend ihrer Klimaansprüche zu oder ab. Außerdem führen zunehmend heftige Stürme und Trockenheit zu einem vermehrten Absterben von Bäumen – im Nationalpark und außerhalb. „Viele Ökosysteme stehen vor großen Veränderungen, die auch uns Menschen betreffen werden. Wie genau diese Veränderungen aussehen werden und welche Arten in 100 Jahren in einer Region vorkommen werden, wissen wir heute noch nicht“, erklärt Dr. Rupert Seidl, neben seiner Funktion im Nationalpark Berchtesgaden auch Inhaber des Lehrstuhls „Ökosystemdynamik und Waldmanagement in Gebirgslandschaften“ an der Technischen Universität München (TUM). „Was wir jedoch sicher wissen: Der Alpenraum ist besonders betroffen, da er sich etwa doppelt so schnell erwärmt wie das Flachland. Zudem haben viele Arten der höheren Lagen nur wenig Möglichkeiten auszuweichen. Wir arbeiten aktuell daran, verlässliche Daten zu erheben, um das Verschwinden oder Zuwandern von Arten zu dokumentieren“.

„Wenn wir Maßnahmen ergreifen wollen, um die lebenswichtige Biodiversität zu schützen, dann benötigen wir genaues Wissen um die Vorgänge und deren Veränderungen in der Natur“, erläutert Wissenschaftler Dr. Sebastian Seibold. Und ergänzt: „Nationalparke sind ein wichtiger Lernort. Nur hier können Ökosysteme und ihre Dynamik weitgehend ohne Einfluss des Menschen untersucht werden. Daher ist die Forschung auch eines der festgeschriebenen Ziele eines Nationalparks.“ Der Nationalpark Berchtesgaden ist dabei aufgrund seiner Geländeformen ein ideales Forschungsgebiet: Alle 1.000 Höhenmeter sinkt die Temperatur um etwa 6 °C. „Für die Klimawandelforschung ist das eine einmalige Gelegenheit, die gewissermaßen den Blick in die Glaskugel erlaubt“, erklärt Seibold. „Wenn man wissen möchte, wie sich beispielsweise eine Erwärmung durch den Klimawandel um 2 °C an einer bestimmten Stelle auswirken könnte, braucht man sich nur eine etwa 330 m tiefer gelegene Stelle ansehen, die bereits jetzt diese Temperatur hat“. Außerdem zeichnet sich der Nationalpark durch eine hohe Artenvielfalt an Lebensräumen aus: Gewässer, Wälder, Almwiesen, alpine Rasen und Felsen.

Aus den gewonnenen Erkenntnissen können die Wissenschaftler ableiten, wie sich die Natur innerhalb des Nationalparks verändern wird. Außerdem können Empfehlungen ausgesprochen werden, wie Wälder und Wiesen auch außerhalb des Nationalparks bewirtschaftet werden sollten, um ihre Biodiversität und natürliche Leistungsfähigkeit auch in Zukunft zu erhalten.

Aufnahmen der Biodiversität haben begonnen


Die Berchtesgadener Nationalpark-Forscherinnen und -Forscher haben im gesamten Nationalpark aktuell 215 Flächen ausgewählt, die sowohl den Höhengradienten als auch die Lebensraumvielfalt repräsentieren. Jede dieser Forschungsflächen hat einen Durchmesser von 25 Metern. In den kommenden zwei Jahren bestimmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf all diesen Flächen, welche Pflanzen, Tiere und Pilze vorkommen. „Diese umfassende Erfassung über viele Artengruppen und die gesamte Nahrungskette hinweg ist wichtig, da Arten miteinander in Beziehung stehen. Zum Beispiel können viele Pflanzen nur von wenigen, spezialisierten Insekten bestäubt werden und viele Insekten wiederum benötigen eine bestimmte Futterpflanze. Wird eine Art selten, kann sich das über solche Beziehung auf viele andere Arten auswirken“, erklärt Seibold den Hintergrund der detaillierten Erhebungen. Für die Erfassung der Biodiversität werden Pflanzen von Botanikern kartiert und Pilze anhand ihres Erbguts aus Boden- und Totholzproben bestimmt. Insekten werden mit verschiedenen Fallentypen gefangen, Vögel und Fledermäuse mit so genannten „Audiorekordern“ akustisch erfasst und Fotofallen fotografieren Säugetiere von der Maus bis zum Rothirsch. „Für die Erfassung der Insekten gibt es keine andere Möglichkeit als deren Fang, da die meisten Arten nur aufwendig von Experten unter dem Mikroskop bestimmt werden können“, erklärt Seibold. „Um Insekten schützen zu können, muss man wissen, welche überhaupt vorkommen und daher ist es unvermeidbar, auch Insekten zu fangen. Die Auswirkungen auf die Bestände sind aber minimal, da die Fallen nur Insekten fangen, die zufällig hineingeraten und wir keine Lockstoffe einsetzen“, führt der Experte weiter aus.

Die Aufnahmen 2021 und 2022 legen den Grundstein für langfristige Untersuchungen. Ab 2023 werden die Forscherinnen und Forscher das Biodiversitätsmonitoring dauerhaft auf 54 ausgewählten Flächen durchführen, das ebenfalls den vollen Höhengradienten und alle Lebensräume abdeckt. Wer in den kommenden Jahren im Nationalpark unterwegs ist, könnte auf solche Forschungsflächen stoßen, die vor allem an der zeltartigen, so genannten „Malaise-Insektenfalle“ zu erkennen sind. „Bitte betreten Sie diese Flächen nicht, damit die Messungen nicht verfälscht werden“, bittet Seibold alle Nationalpark-Besucher. „Vor Ort informieren Schilder über Sinn und Zweck der Forschung“.

Man kann nur schützen, was man kennt


„All dies klingt natürlich nach einem enormen Aufwand, und das ist es auch“, erklärt Forschungsleiter Seidl. „Doch er ist es wert“. Auch wenn der Grundsatz „Natur Natur sein lassen“ im Nationalpark den Schutz der Natur ohne Eingriffe des Menschen vorsieht, so wirken doch auch im Nationalpark menschliche Effekte wie der Klimawandel. Darum ist es wichtig zu wissen, welche Arten hier vorkommen und wie sich Ökosysteme verändern. Der Klimawandel macht nicht an den Nationalparkgrenzen halt, sondern wirkt sich im Gebirge sogar besonders stark aus. Um zu wissen, welche Arten auch zukünftig im Nationalpark vorkommen werden und somit unter seinem Schutz stehen und welche Arten vielleicht in anderen Schutzgebieten Zuflucht suchen müssen, ist es wichtig, die Auswirkungen von Klimaänderungen auf unsere Ökosysteme zu untersuchen. Die nun beginnende Forschung wird hierzu unser Wissen verbessern und auch Empfehlungen für die Bewirtschaftung von Wäldern und Wiesen außerhalb des zulassen.

red/Pressemitteilung Nationalparkverwaltung Berchtesgaden
Bilder © Nationalpark Berchtesgaden
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